Monats-Archiv: September 2015

Gesicht verbergen

Staffs Wear No-Face Masks To Reduce Pressure During Working Time In Handan

Im klassischen chinesischen (wie griechischen) Theater trugen die Schauspieler eine Maske, die ihre Rolle verdeutlichte. So konnten die Zuschauer identifizieren, wer der Choleriker, der Verliebte, der Eifersüchtige war. Sie interessierte das „Innere-Ich“ des Darstellers nicht. Dieser Tradition entnahm Karl Marx den Begriff der „Charaktermaske“. Damit meinte er: Sobald wir in ökonomischen Verhältnissen stehen, tragen wir eine Larve – man spricht ja häufig von „Funktionsträgern“- die unsere subjektiven Regungen verbirgt.
Daran werden die Manager in der chinesischen Stadt Handan gedacht haben, als sie kürzlich den Dienstag zum „gesichtslosen Tag“ erklärten. Die Angestellten werden aufgefordert, am Arbeitsplatz schwarz-weisse Masken zu tragen, die einem japanischen Film mit dem passenden Titel „Spirited away“ entliehen sind. Einmal in der Woche müssen sie nicht verkrampft Kunden und Chefs anlächeln, die Masken lächeln für sie. Sie können Ausdrücke von Müdigkeit und schlechter Laune zulassen, ohne die Angst, ihr Gesicht zu verlieren.
Die seltsame Maßnahme ist alles andere als eine PR-Spielerei. Es geht darum, eine Plage zu bekämpfen, die laut chinesischem Rundfunk Tag für Tag 1600 Sterbefälle verursacht: Guolaosi, den Tod durch Überarbeitung. Menschen, die bisher kerngesund waren, sterben infolge von Stress und Überstunden an Erschöpfung, Blutungen oder Herzversagen. Bis vor kurzem wurden sie gut stalinistisch als Helden der Arbeit gepriesen, die sich „für Volk und Partei“ selbstlos geopfert hatten. Nun hat das Ausmaß der Epidemie wirtschaftliche Konsequenzen. Vor allem haben die Betroffenen angefangen, gegen die tödlichen Arbeitsverhältnisse mit Streiks und der Gründung inoffizieller Gewerkschaften zu reagieren. Das Maskenexperiment soll die gefährliche Lage entspannen.
Es bleibt zu erwarten, ob die Strategie nicht in ihr Gegenteil umschlagen wird. Denkbar wäre, dass die Beschäftigte mehr Mut bekämen, durch ihre Masken ihr Anliegen offen auszusprechen. Schließlich meinte Oscar Wilde: „Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er für sich selbst spricht. Gib ihm eine Maske und er wird dir die Wahrheit sagen.“