Monats-Archiv: Juni 2016

Kleine Anthologie der Gegenwartspoesie

Die Intensität einer Revolte wird an den schriftlichen Spuren gemessen,

die sie an Straßenfassaden hinterlässt.

Für die Fortsetzung der Welt

Für die Fortsetzung der Welt

Eine Barrikade hat nur zwei Seiten

Eine Barrikade hat nur zwei Seiten

Dieses Graffiti ist demokratisch, es wurde in der Generallversammlung abgestimmt

Dieses Graffiti ist demokratisch, es wurde in der Generalversammlung abgestimmt

Wer Tränengas sät, erntet Pflastersteine

Wer Tränengas sät, erntet Pflastersteine

Das Ende einer Welt kündigt sich durch widersprüchliche Zeichen an.

Das Ende einer Welt kündigt sich durch widersprüchliche Zeichen an.

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Das Volk wird abgewählt

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Seit Wochen ruft Marine Le Pen nach einem Verbot aller Demonstrationen in Frankreich. Jetzt erwägt die sozialdemokratische Regierung, genau das zu tun. „Kein generelles Verbot, weil wir das nicht dürfen“, seufzt Valls (diese verdammte Menschenrechtserklärung!), „aber von Fall zu Fall werden wir unsere Verantwortung übernehmen.“ Und Hollande: „Wenn, wie jetzt der Fall ist, die Sicherheit von Personen und Gütern nicht mehr garantiert werden kann, werden wir im Einzelfall Demonstrationen nicht genehmigen“. Weiterlesen…

Auf nüchternen Magen einnehmen

Zur Zeit erhalte ich Texte zur Bewegung in Frankreich, in denen die Situation maßlos übertrieben wird. Auf einer englischsprachigen Website ist sogar von den „größten Protesten seit der französischen Revolution“ die Rede, was nur zeigt, dass die Autoren keine Ahnung von Geschichte haben. Da ich in manchen Texten zitiert werde, wird mir etwas mulmig. Ich glaube nicht, dass ich zu solchen Fehleinschätzungen beigetragen hätte. Außerdem wurde ich oft genug von Ereignissen gut wie böse überrascht, um irgendwelche Prognosen liefern zu wollen. Doch wollen wir versuchen, die momentane Lage etwas nüchtern anzuschauen.

 Erstens: Die Regierung hat den Terminkalender voll im Griff. Zur Zeit wird das Arbeitsgesetz vom Senat abgeändert, und da dieser von den Konservativen dominiert ist, wird ein viel schärferer Entwurf ausgearbeitet. Dann wird der Text vor die Nationalversammlung zurückkommen, und die Regierung wird die ursprüngliche Fassung als das kleinere Übel verkaufen, um die Zustimmung der renitenten linken Abgeordneten zu gewinnen. Gelingt das nicht, dann wird wieder einmal den Verfassungsartikel 49.3. herausgeholt, und das Gesetz wird per Dekret ein für allemal verabschiedet. In der Zwischenzeit sind Valls und Hollande entschlossen, die Protestwelle auszusitzen.

Zweitens: Alle Hoffnungen richten sich jetzt auf den 14. Juni, weil die Gewerkschaften erneut zu einem nationalen Aktionstag aufgerufen haben. Das zeigt, wie sehr die Gewerkschaften, allen voran die CGT, das Tempo bestimmen. Zum Vergleich: Der Mai 1968 war ein wilder Generalstreik; die Gewerkschaften rannten der Bewegung hinterher, um sie „erfolgreich“ zu beenden. Hierzulande herrscht ein falsches Bild der CGT als „radikale“ Gewerkschaft. Das ist sie nicht. Ein Beispiel: 2010 setzte Sarkozy das Gesetz zur Anhebung des Rentenalters durch. Wie? Er hatte einen Deal mit der CGT gemacht: Ihr schränkt die Proteste ein, dafür garantiere ich euch eine verbesserte Representativität. Letzten April war es im Nationalkongress der CGT die Basis, die nach unbefristeten Streiks rief. Jetzt hat CGT-Vorstand Martinez seine Position bereits abgemildert. Er fordert nicht mehr den totalen Rückruf des Gesetzes, sondern einzig dessen Artikel 2 (wonach Arbeitszeit und Löhne innerbetrieblich vereinbart werden und nicht mehr auf Branchenebene.) Er wäre jederzeit bereit, sagt er, mit Valls zu verhandeln, nur will Valls nicht. In diesem Konflikt kämpft die CGT in erster Linie um ihr Image. Nächstes Jahr werden Betriebsräte neu gewählt und es könnte sein, dass die „reformfreundliche“ CFDT zum ersten Mal die CGT überholt. Das hätte auch die Regierung gern, daher ihre harte Linie gegenüber der postkommunistischen Gewerkschaft. Weiterlesen…

Da musst du durch

In Frankreich demonstrieren die Menschen erbittert gegen neue Sozial- und Arbeitsmarktgesetze.
Deutschland schaut weg. Warum?

Ein Beitrag von mir in der taz vom 1.6.2016.