Endlichkeit und Verdrängung

apo one

Dieses Jahr wurde das Weltwirtschaftsforum zu Davos mit der Frage feierlich eröffnet, ob sich die Apokalypse noch verhindern ließe, ehe die Gäste auf wichtigere Themen übergingen wie Handelsabkommen und Finanzperspektiven. Lasst uns also über die Apokalypse reden. Derzeit ist das Wort voll im Trend. Allein in diesem Januar wurden in den Medien ein Blitzvulkan auf den Philippinen, ein Schneesturm in New-York und vor allem die Wildbrände in Australien als „apokalyptisch anmutend“ beschrieben.

Das kommt daher, dass den Berichterstattern die Worte ausgehen, um katastrophale Ereignisse zu beschreiben. Eine Zeitlang wurde dafür das Wort „Jahrhundert“ bemüht. Ein Jahrhunderttemperaturrekord. Eine Jahrhundertflut. Da sich jedoch die Jahrhundertereignisse immer schneller überstürzen, taugt der Ausdruck nicht mehr.

Aber nicht nur sensationssüchtige Medien reden von der Apokalypse, auch die betroffenen Menschen vor Ort finden keine andere Metapher, um ihre unfassbare Lage zu benennen. In einem vom Feuer verwüsteten Dorf in New South Wales hat ein Buchhändler ein Schild auf seinem Schaufenster angebracht: “Postapokalyptische Belletristik steht jetzt unter ‘Aktuelles Zeitgeschehen’”. Wie soll man sonst sprechen, wenn alles monatelang brennt, der Tag zu Nacht wird, eine Milliarde Tiere krepieren und Strände die einzige Zuflucht für geflüchtete Bewohner bieten?

Wenn sich eine noch nie erlebte Situation vergegenwärtigt, die sich wie ein Vorbote der Zukunft ankündigt, helfen nur noch Bilder aus vergangenen Prophezeiungen.

Derweil verunglimpft der australische Premier Morrison seine Mitbürger, die Umweltschutz fordern, als Apokalyptiker und Wirtschaftssaboteure. Die Pointe ist, dass Morrison wie in Brasilien Bolsonaro ein Evangelikaler ist. Das heißt, dass er selbst an das unmittelbar bevorstehende Jüngste Gericht glaubt, welches die Auserwählten, sprich: die Reichen und Mächtigen erlösen soll. Seine Apokalypse will er sich aber nicht von protestierenden Losern versauen lassen.

Nicht nur Evangelikale, auch und vorerst selbsternannte Vertreter der nüchternen Vernunft warnen vor den apokalyptischen Gelüsten der Jugend. Andererseits haben nicht nur Filmemacher und Romanautoren, sondern auch angesehene Denker wie Bruno Latour Apokalyptik bzw. Post-Apokalyptik als statthaftes Thema wiederentdeckt.

Was ist also an dieser Vokabel dran? Wenn damit ganz allgemein Endzeit gemeint ist, stoßen wir auf eine prinzipielle Aporie. Zum einen steht außer Zweifel, dass das Zwischenspiel Mensch auf Erde irgendwann einen Endpunkt haben wird, und sei es nur in fünf Milliarden Jahren, als der Erdball von der Sonne verschluckt wird. Zum anderen steht ebenso fest, dass dieser Endpunkt von niemandem erlebt wird, und das aus dem Grund, dass jeder für sich allein stirbt. Der letzte Mensch wird ebenso wenig wie im letzten November der letzte Sumatra-Nashorn wissen können, dass er tatsächlich der letzte ist. Daraus folgt, dass Apokalypse im Sinne von Endzeit kein Ereignis, sondern nur eine Vor-Stellung sein kann, die Vorstellung des Unvorstellbaren. Sie ist absolute Gewissheit und doch nur fantasierte Fiktion.

Nur kommt dieses imaginierte Ende der Zukunft aus der fernen Vergangenheit, in unserem Kulturkreis nämlich: aus der Bibel. Das ist insofern ein Verhängnis, als Apokalypse wortwörtlich „Offenbarung“ bedeutet. Im allerletzten Augenblick soll die ganze Wahrheit ans Licht kommen. Mehr als wir glauben, sind wir von dieser Auffassung geprägt. Denken wir nur an die Doppelbedeutung von „Vollendung“ als Abschluss und Erfüllung.

Doch natürlich wird in unserer postreligiösen Zeit kaum noch jemand an diese Mär ernsthaft glauben. Allenfalls kann man sagen: Wenn Apokalypse bloß Offenbarung bedeutet, dann hat sie bereits stattgefunden. Heute sind Umweltzerstörung und Klimawandel, wovon die Meisten bisher nichts ahnten, ins globale Bewusstsein gekommen. Damit hört aber der biblische Bezug auf. Denn selbstverständlich geht es niemandem um die angstfröhliche Erwartung der Endzeit, sondern darum, die Konsequenzen eines Prozesses, der bereits eingesetzt hat, möglichst zu verringern.

Eine üble Nachrede ist es ebenfalls, Forscher, die das Desaster empirisch belegen, als „Untergangspropheten“ zu charakterisieren. Sie verkünden keine Prophezeiung, im Gegenteil, sie zeigen, dass Vorhersagen fortan unmöglich sind. Gewiss ist nur, dass die Umwelt bereits aus den Fugen geraten ist. Unvorhersehbar sind die Konsequenzen.

Schließlich ist Apokalypse kein passendes Wort, weil sie ein singulares Ereignis, einen plötzlichen großen Knall evoziert. Doch was uns bevorsteht, ist wahrscheinlich eher eine lange, zerstreute, disparate Folge von Extremphänomenen, hier eine Dürre, dort eine Überflutung, die sich von den normalen Launen der Natur durch Häufigkeit und Intensität unterscheiden. Also kein Ereignis, sondern eine fortschreitende Erosion.

apo two

Angesichts dieser unerfreulichen Nachrichten ist die Versuchung groß, mit dem Denken ganz aufzuhören. Was bringt das Grübeln über Dinge, die einen Maßlos überfordern, außer Depression, Verzweiflung und Resignation? Besser ist, die ganz große Realität zu ignorieren, um sich kleineren, kurzfristigen Projekten zu widmen, so lange es noch geht. Ist nicht die beste Überlebensstrategie so zu tun, als ob es eine Todesgefahr nicht gäbe? Beneidenswert unsere Vorfahren, die in aller Seelenruhe und ohne Schuldbewusstsein ihre Umwelt kaputtmachen durften! Die tragische Wahl zwischen Wissen und Glücklichsein ist ein uralter Topos. Wie Heiner Müller meinte: Optimismus ist ein Mangel an Informationen. Bleiben wir also optimistisch und uninformiert.

Das Problem ist bloß, dass wir bereits Bescheid wissen. Steht einmal die Erkenntnis im Raum, heißt die einzig mögliche Alternative zum Denken: Verdrängen. Und wie wir aus der Psychoanalyse wissen: Verdrängte Tatsachen sind nicht deswegen ausgeschaltet, sie agieren unbewusst weiter. Und sie gebären Monster.

Drei Optionen der Verdrängung stehen im Angebot, die jeweils einem neurotischen Stadium und einer politischen Richtung entsprechen.

Die erste Variante ist die schlichte Verneinung. Gemeint ist die Position der inakkurat genannten „Klimaleugner“, also das sture, kontrafaktische Festhalten an der Illusion, es finde nichts Außergewöhnliches statt. Politisch stehen die Verneiner neoliberal bis rechtsextrem.

Die entgegengesetzte Art der Verdrängung ist die Ableitung. Hier wird die Katastrophe nicht geleugnet, im Gegenteil, sie wird gar betont. Aber nur als Nebeneffekt der ökonomischen Widersprüche. Wie vor 150 Jahren bestünde die Hauptaufgabe in der besseren Umverteilung des Reichtums. Wer stattdessen Zeit mit der Umweltkatastrophe verschwendet, möchte nur vom Hauptziel ablenken. Selbstverständlich steht diese Art der Verdrängung links.

Zurzeit sind diese beiden Formen minoritär. Vorherrschend ist die dritte Variante der Verdrängung, nämlich die Verharmlosung.  Man kann sie auch nach einem Ausdruck des Philosophen Günter Anders die „Vernüchterung des Entsetzlichen“ nennen. Hier wird die Katastrophe weder verneint noch als Nebenschauplatz verlagert. Sie wird als technische Herausforderung reduziert, also als ein Problem, das konstruktiven Lösungen bedarf. Politische Verhandlungen. Industrielle Innovationen. Dann kriegen wir die Klimakurve hin. Sie haben die Position der Grünen erkannt.

Mit Verneinern ist jede Argumentation zwecklos. Sie sind Meister in alternativen Fakten und Paralogismen. Bemerkenswert ist jedoch, wie eng ihre Realitätsverneinung mit dem Wirtschaftsdenken konsistent ist. Im Reich der Ökonomie ist Zukunft nur eine Projektion der Gegenwart. Alles was da ist, ist nur als zukünftige Renditenerwartung gegenwärtig, Das funktioniert solange, wie sämtliche Systemwidersprüche und negativen Auswirkungen als lauter Externalitäten ausgelagert werden können.

Nichts darf gegen das Dogma verstoßen, wonach die Vermehrungsspirale des Kapitals kein Limit habe. Jegliche Idee von Endlichkeit wird deswegen als apokalyptisch abgetan, weil sie Glaubenssätzen widerspricht, die sich am besten unter dem Stichwort „Unendlichkeitsfanatismus“ subsumieren lassen. Unbegrenzt seien die irdischen Vorkommen, unbegrenzt die technische Überlistung der Natur, unbegrenzt die Selbstheilungskräfte der Märkte, unbegrenzt das Wachstum.

Jedes Schulkind würde solche Dogmen irre finden, darum brauchte es wie in Andersens Märchen ein Schulkind, um den Irrsinn offen auszusprechen.

Welche Verunglimpfungen sind nicht über Greta Thunberg ausgeschüttet worden! Die überempfindliche Asperger-Patientin sei die Heilige einer Ersatz-Religion, sie schüre hysterische Ängste unter der Jugend, sei die PR-Marionette des mächtigen green business, lasse sich wie der Hanswurst auf internationalen Gipfeln vorführen. Doch selbst wenn das alles stimmte, ändert das nicht an der einzigen Botschaft, die sie andauernd wiederholt: „Hört auf die Wissenschaft!“

Da findet eine merkwürdige Umpolung statt. Bislang waren es die Kritiker der bestehenden Gesellschaft, die Wissenschaftlern (zurecht) vorwarfen, Mitschuld an der Objektifizierung der Natur zu sein. Heute hat Wissenschaftsfeindlichkeit die Seiten gewechselt. Postmoderner Verdacht ist zur Lieblingswaffe rechter Klimaskeptiker geworden. Sie sprechen Biologen, Ökologen und Klimaforschern jeden Wahrheitsanspruch ab, disqualifizieren ihre Forschungsberichte als lauter Diskurse, unterstellen ihnen Machtstrategie und politische Manipulation.

Wie Sigmund Freud meinte: Manchmal täte es den Skeptikern gut, auch an der eigenen Skepsis zu zweifeln.

Wie ist es nun mit den Verharmlosern? Wie die Verneiner denken sie im Rahmen der Ökonomie, bloß von einem anderen Grundsatz aus. Schumpeter definierte den Kapitalismus als ein Prozess der kreativen Zerstörung. Will heißen: Alte Strukturen werden permanent von Innovationen zerschlagen. Im Umkehrschluss wird dann angenommen, dass jede Zerstörung Innovationschancen bietet. So gesehen verspricht die Zukunft rosige Perspektiven.

Gegen fossile Konservative, die an fossilen Energien hängen, treten saubere Grüne hervor, die mit sauberer Energie die Wirtschaft umbauen wollen. Nur muss man sich beeilen, es blieben nur noch zehn Jahre oder gar 18 Monate, um die „Klimakurve“ hinzubekommen. Hier besteht die Verdrängung aus drei Elementen.

Erstens ist die Behauptung leichtsinnig, es würde reichen, eine bestimmte Emissionsgrenze einzuhalten, um ein heterogenes Problembündel mit unvorhersehbaren Rückkopplungen ganz aus der Welt zu schaffen. Und die Behauptung ist auch gefährlich: Wie werden denn die Menschen reagieren, wenn (wie zu erwarten ist) zu dieser Deadline die vorgegebenen Ziele nicht erreicht sind?

Zweitens gibt es keine saubere Energie. Um aus Wind und Sonne Energie zu gewinnen, zu speichern und zu verteilen sind Abermillionen Tonnen Kupfer, Blei, Zink, Aluminium, Silber Lithium, Kobalt und weitere seltene Rohstoffe erforderlich. Nur Pech für den globalen Süden, wo sich all diese Vorkommen befinden. Dort hieße der Green New Deal: gigantische Bergwerke, gerodete Wälder, toxische Abfallhalden und vergiftetes Grundwasser. Kapitalismus 2.0. würde genau die Bedingungen reproduzieren, die zur jetzigen Lage geführt haben, Kolonialismus und Massenflucht eingeschlossen.

Und schließlich, selbst wenn technische Lösungen theoretisch machbar sind, in der Praxis müsste die Politik willig und fähig sein, sie durchzusetzen, und zwar weltweit. Das hieße nicht nur, nach mühsamen Verhandlungen und Kompromissen doch zeitig genug zu einem wirklichen Ergebnis zu kommen. Das hieße vor allem, sich mit Wirtschaftslobbys anzulegen, für die eine Abnahme der Kapitalrendite oder staatliche Lenkungen schlimmere Albträume sind als die Extinktion des irdischen Lebens.

Verständlich ist, dass die grüngefärbte Option die Beliebteste ist. Wer in einem abstürzenden Flugzeug sitzt, setzt seine Hoffnung darauf, dass der Pilot gefasst bleibt und alle Hebel und Geräte bedient, um die Notlandung zu versuchen. Nur hinkt der Vergleich.  Hier kämpft man nicht mit defekter Technik, sondern mit absurden sozialen Verhältnissen.

Es gibt keinen „grünen Kapitalismus“, den wir notgedrungen dem anderen vorziehen könnten. Der Kapitalismus ist ein Chamäleon, der opportunistisch je nach kritischer Situation die Farbe wechselt. Diesbezüglich scheint die Klimabewegung übermäßige Erwartungen an den guten Willen und die Handlungsspielräume der Regierenden zu haben. Vielleicht fehlt es ihnen noch an Apokalyptik. Das dürfte noch kommen.

apo three

Die Ursachen der gegenwärtigen Katastrophe liegen tief in der Vergangenheit. Dafür bietet Australien, das gerade mit der Katastrophe zu kämpfen hat, ein gutes Beispiel.

Rein geographisch betrachtet ist der australische Kontinent eine Welt für sich. Seine isolierte Lage ermöglichte die Evolution dort, einen ganz abgesonderten Pfad zu nehmen. Darum sind Koalas und Kängurus nirgends sonst vorzufinden. Allerdings war in der Landschaft Homo Sapiens nicht vorgesehen. Seine Landung vor fünfzigtausend Jahren hatte verheerende Konsequenzen. Binnen kürzer Zeit schaffte er es, neunzig Prozent aller großen Säugetiere endgültig auszurotten. Zudem fackelte er die Urwälder so großzügig ab, dass Dürren, Wüstenbildung und regionale Klimaveränderung folgten.

Die Geschichte kommt einem vertraut vor. Sie hört sich an wie ein Vorspiel der Gegenwart, und deswegen wird sie heute gern erzählt.  Denn sie lässt auf ein anthropologisches Schicksal schließen. Wir könnten nichts dafür, seien dazu veranlagt, am Ast zu sägen, auf dem wir sitzen. So gesehen wäre die zweite Kolonisierung Australiens durch die Europäer nur eine weitere Episode derselben Serie.

Doch mit der Fokussierung auf den ursprünglichen Überfall geraten nicht minder als fünfzigtausend Jahre aus dem Blickfeld, in denen die australischen Aborigines einen äußerst stabilen und harmonischen Bezug zu ihrer Umwelt aufrechterhalten haben. Eigentlich waren die zerstörerischen Folgen der ersten Einwanderung ein natürlicher Vorgang gewesen, ähnlich der asiatischen Tigermücken, die einheimische Insekten verdrängen. Doch nach dem ursprünglichen Raubzug wussten die Aborigines offenbar, ihre Instinkte selbst zu zähmen und zwar durch den Logos. In der Mythologie der Traumzeit sind Tiere und Pflanzen dem Menschen gleich.  Sie kennen keine Natur, die man ausbeuten oder schützen kann, sie bewohnen eine geistige, gemeinsam mitgestaltete Landschaft.

Das Gleichgewicht wurde von der zweiten Kolonisation brutal zerstört. Die Europäer erklärten das Land zu Terra Nullus und die Ureinwohner für Vogelfrei. Zunächst Strafkolonie, wurde Australien erst mit der Entdeckung von Rohstoffen interessant. Und die Erwirtschaftung knüpfte wieder an die Raubtierinstinkte des Homo Sapiens an. Insofern hat Morrison recht: der Geist der Australier ist nichts anderes als ein Stück Steinkohle.

In Australien verläuft der längste Zaun der Welt, der sogenannte dingo fence, der die industrialisierten Gebiete von der Wildnis trennt. Sie haben wahrscheinlich alle das Bild des verkohlten Kängurus an einem Stacheldrahtzaun gesehen. Who killed skippy? Nicht das Feuer hat ihn umgebracht, sondern der Zaun.

Was an Rousseaus berühmten Satz erinnert: “Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab (…) war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft.“ Rousseau führt fort: „Wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört!”

Folgerichtig steht dieser Satz in Rousseaus Diskurs über die Ungleichheit. Nicht nur in Australien wird der Zaun immer mehr zum Sinnbild der auf Ungleichheit basierten Epoche. Die Einzäunung ist der aggressive, verzweifelte Versuch, eine Trennung aufrechtzuerhalten, und zwar sowohl zwischen Mensch und Natur als auch zwischen Mensch und Mensch. So wie Wildtiere werden menschliche Opfer der Verwüstung davon aufgehalten, in noch verschonte Gebiete zu flüchten.

Freilich hilft es heute wenig, sich auf die Aborigines zu beziehen. Selbst wenn einige noch biologisch am Leben sind, ihre Welt ist endgültig zerstört. Wie alle Urvölker haben sie den Weltuntergang hinter sich. Was uns zu einem wichtigen Punkt führt. Die Welt, um die es uns geht, ist nicht die Erde. Die Erde wird sich von uns zu erholen wissen. Was es vorm Untergang zu schützen gilt, ist auch nicht die Natur, es ist die Lebenswelt der Bewohner. Wen interessiert schon das biologische Überleben der Spezies Homo Sapiens abgesehen von der Frage der Lebensweise? Wie es der Philosoph Hans Jonas vor 40 Jahren empfahl: Behalte stets das Worst-Case-Szenario vor Augen, damit du das zu schätzen und aufzubewahren lernst, was das Leben wirklich lebenswert macht.

Das hört sich vielleicht ein bisschen eso an, aber man kann auch konkreter fragen: Was verbindet wirklich die 8 Milliarden, die den Planeten heute bevölkern? Was wir Globalisierung nennen ist nicht die Erschaffung einer gemeinsamen Welt, sondern umgekehrt fortschreitende Weltenzerstörung, oder um es mit Hannah Arendt zu sprechen: Weltentfremdung.

Dass dieser Prozess schon lange her einsetzte, lässt sich an folgendem Satz aus dem Jahr 1848 herauslesen: „Die moderne Gesellschaft gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor”. Das schrieb Marx im kommunistischen Manifest.

Unter gegenwärtigen Philosophen ist die Entfremdung aus der Mode geraten. Aber unter Naturwissenschaftlern wird ein Begriff zunehmend verwendet, um den menschlichen Einfluss auf das Erdsystem zu benennen: das Anthropozän. Und wer ist denn dieser Anthropos, wenn nicht das entfremdete Gattungswesen, das auf die lebenden Menschen zurückschlägt?

Die Naturwissenschaft hat nachgespürt, wie das Anthropozän mit der Industrialisierung begann, um sich mit der Globalisierung der Märkte exponentiell zu beschleunigen. Doch einmal unter der Lupe betrachtet, besteht das globale Phänomen aus unzähligen spezifischen Entscheidungen, die niemals von „der Menschheit“ getroffen worden sind, sondern von Industriellen, Technokraten und Lobbies, immer mit dem Ziel der Profitmaximierung. Insofern sind manche Autoren nicht im Unrecht, wenn sie statt von Anthropozän von „Kapitalozän“ reden.

Greta Thunberg sagt: „Ihr sprecht nur darüber, mit denselben schlechten Ideen weiter zu machen, die uns in dieses Chaos gebracht haben, wobei die einzig vernünftige Sache die ist, die Notbremse zu ziehen.“ Greta weiß es wahrscheinlich nicht, aber das hatte bereits Walter Benjamin vor ihr geschrieben. Der Griff nach der Notbremse, so definierte er eine Revolution.

Andererseits erklären Chilenen, die seit über drei Monaten rebellieren: „Wir werden nicht zur Normalität zurückkehren, denn die Normalität war das Problem.“ Auch das eine Paraphrase von Walter Benjamins: “Dass es so weiter geht, ist die Katastrophe”.

An dieser Stelle sollte ich vermutlich mit einem Happy End schließen. Es wird von der Kritik erwartet, so negativ sie auch klingen mag, dass sie zum Schluss ein Fenster auf die schöne Zukunft öffnet, oder zumindest auf positive Möglichkeiten hinweist. Alles andere sei nur demoralisierend. Aber nicht nur bin schlecht in Gutenachtgeschichtenerzählen, ich denke vor allem, dass wir ohne Happy End-Erzählungen auskommen können und müssen. Lieber halte ich es mit Jean-Pierre Dupuy, Theoretiker des aufgeklärten Katastrophismus:  Nur noch ein Wunder kann uns retten, vorausgesetzt, dass wir nicht darauf warten.

 

(Vortrag im Tanzquartier Wien. 24.1.2020)

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