Monats-Archiv: November 2013

Die Ausredefreiheit bleibt unangetastet

In der heutigen taz meint Ilija Trojanow, dass infolge der NSA-Enthüllungen Autoren und Intellektuelle zunehmend Selbstzensur üben und bestimmte Themen „nicht nur im persönlichen Gespräch und in E-Mails, sondern auch in ihren Texten“ bewusst vermeiden. Das hört sich an wie: Ach, wenn ich mich nur traute, meine subversiven Gedanken zu veröffentlichen! Ich wäre gern ein Dissident, leider lässt es der böse Überwachungsstaat nicht zu. Da möchte man die ins innere Exil Geratenen fragen, wo ihre kritischen Stimmen zu hören waren, als sie noch glaubten, in einem Reich der Freiheit zu leben? Dass sie gefährliche Themen nicht nur in ihren Texten, sondern auch in ihrem Kopf bewusst vermeiden, ist keineswegs neu. Als er in den Westen kam, staunte bereits Solschenizyn darüber, dass hier kein KGB nötig war, um die Fügsamkeit der meisten Intellektuellen zu sichern. Weiterlesen…

Das Google-Evangelium

„Es mag sein, dass das Privatleben eine Anomalie ist.“ Das sagt Vint Cerf, der als Chief Internet Evangelist bei Google eingestellt ist. Ich dachte, „Evangelist“ sei ironisch gemeint, aber nein, es ist eine offizielle Jobbeschreibung in der Software-Branche. In Wikipedia erfährt man dazu: „The word is taken from the context of religious evangelism due to the similarity of relaying information about a particular set of beliefs with the intention of converting the recipient.

Offensichtlich ist Google die moderne Form der Heiligen Inquisition. Obwohl heute in Zwielicht geraten, war die Inquisition auch eine Art Suchmaschine. Inquirere heisst ja untersuchen. Sie wollte nur das Böse bekämpfen (vergleiche das Google-Motto: „don’t be evil“). Ihrer Hauptfunktion, der Seelenführung, hat sich Eric Schmidt, Googles Executive Chairman verschrieben: “I actually think most people don’t want Google to answer their questions, They want Google to tell them what they should be doing next.”

Schließlich geht es immer darum, die Sünde auszurotten, besser gesagt die Menschen von der bloßen Vorstellung abzuwenden, eine böse Tat zu begehen, so Schmidt weiter: “If you have something that you don’t want anyone to know, maybe you shouldn’t be doing it in the first place.”

Gegen Sekten wie die Scientologen regen sich alle auf. Auch staatliche Spähprogramme werden nicht voll und ganz akzeptiert. Hingegen setzt sich die Google-Inquisition reibungslos durch. Für die Beseitigung der Privatanomalie ist ein Privatunternehmen am effektivsten. Unter anderem weil es sich die besseren Evangelisten leisten kann.

 

Die fabelhafte Welt der Akademie

Kulturpessimisten aller Couleur, beruhigt Euch: Von Sprachverfall kann keine Rede sein. Das Deutsche wächst und gedeiht. Der neueste „Bericht zur Lage der deutschen Sprache“ beweist, dass der Wortschatz in den letzten 100 Jahren um 1,6 Millionen Wörter gewachsen ist. Also könnten sich die Deutschen heute vielfältiger ausdrücken als je zuvor. Die Betonung liegt hier auf könnten. Denn sie tun es nicht. Ihnen steht ein immer raffinierter werdendes Instrument zur Verfügung, doch stur klimpern sie auf denselben Tasten. So sagt auf Deutschlandradio Wolfgang Klein, Mitautor der Studie: „Nicht die Sprache wird schlechter, sondern ihre Sprecher.“ Vielleicht wäre es andersherum besser. Zumal auf viele Vokabeln ruhig verzichtet werden könnte, „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ etwa, „Veggie-Day“ oder „Ich-AG“.

Was bringt uns die Feststellung, dass ein vollständiges Deutschwörterbuch heute fünf Millionen Einträge haben sollte? Ökonomisch könnte man argumentieren, dass bei steigendem Lexikalkapital selbst ein gleichbleibender Sprachgebrauch eine relative Verarmung darstellen würde. Vor allem ist die wunderbare Wortvermehrung der Entwicklung hochspezialisierter Gebiete zu verdanken, die nur Fachidioten zugänglich sind, welche jedoch außerhalb ihrer Disziplin dieselben armen Ausdrücke wie jedermann verwenden.

 Wir haben es hier mit einem schönen Fall von statistisch gestütztem Idealismus zu tun: Die Sprache wird besser, die Sprechakte schlechter. Im Himmel der Entitäten schwebt ein prächtiger Wortschatz, doch auf Erden machen die Menschen einen schlechten Gebrauch davon. Auf die Frage wieso, lassen sich die ehrenwerten Berichtautoren nicht ein, unter ihnen ist ja kein Soziologe.

 Aber wir wollen optimistisch sein. Freuen wir uns also, dass Ignoranten in einem sich ausdehnenden Ozean des Wissens schwimmen dürfen. Und vergiss deinen Kontostand, die gute Nachricht ist: es gibt immer mehr Geld in der Welt.

 

Vorkriegszeit (Teil 1)

Wlodawa

Es ist ein absurder Brauch des Kulturmarktes, sich einzig nach Jubiläen zu richten. So bahnbrechend eine neue Kleist-Biographie sein möge, kein Verleger würde sie jetzt in sein Programm aufnehmen. Kleist? Das war doch vor zwei Jahren! Und alle Sachbuchstreber und Biographiemacher begeben sich auf die fiebrige Suche nach anstehenden Geburts- oder Todestagen, um die Nachfrage rechtzeitig zu erfüllen.

So ist es kein Wunder, dass der Bestseller des Jahres Florian Illies’ 1913 war. Seit ein paar Wochen wird es von Christopher Clark’s Die Schlafwanderer eingeholt, einem Vorboten des kommenden 1914-Gedenktsunamis. Ein Bestseller muss nicht unbedingt ein schlechtes Buch sein. Doch ist Illies’ Anekdotensammlung ein schlechtes Buch, besser gesagt: eine Wohlfühl-Umschreibung der Geschichte. Da wird ein Bogen zwischen dem angeblichen „Sommer des Jahrhunderts“ und der „Generation Golf“ gespannt, welcher bloß von kleinen Betriebsunfällen unterbrochen gewesen sei. Das ist deswegen bedauernswert, weil das Thema wirklich spannend ist und Besseres verdient hätte.

 Auch ich hatte mich mit jenem Jahr beschäftigt, freilich nicht um einen Bestseller zu schreiben, sondern um etwas gegen die laufende Jubiläenwut zu unternehmen. Letztens wurde in Leipzig ein erbärmliches „Reenactment“ der 1813er Völkerschlacht inszeniert. Als ich dort noch tätig war, hielt ich es für nötig, darauf hinzuweisen, dass der hässliche Klotz namens Völkerschlachtdenkmal, 1913 eingeweiht, nicht so sehr ein Andenken an einen vergangenen Sieg war, als eine Einstimmung aufs bevorstehende Gemetzel. Als ich zu diesem Zweck zu recherchieren anfing, stieß ich auf (mir zumindest) wenig bekannte Tatsachen, die ich im Folgenden untersuchen werde. Weiterlesen…

Der Aufstand kommt…

…das einzige Problem ist, dass bisher nur die Eliten daran glauben.

Immerhin: “Weltweit beobachten die Befragten, dass die Bevölkerung das Vertrauen in die Politik und andere Institutionen wie beispielsweise Banken verliert.” Die Demotivation schreitet voran. Daran arbeiten wir.

Schließlich bin ich auch ein Tier

In letztem Frühjahr kam es in Leipzig zu heftigen Protesten der Tierschützer gegen eine Aufführung des „Orgien Mysterien Theaters“ vom Altaktionisten Hermann Nitsch, wobei ein Rind so wie ein paar Schweine geschlachtet werden sollten. Zu diesem Anlass veröffentlichte ich das folgende Manifest.

 

Sie haben vielleicht schon davon gehört: Im Namen der Kunst werden wehrlose Tiere barbarisch missbraucht. Da muss ich sagen: Auch ich finde das nicht in Ordnung und meine, sie sollen mit dem Mist aufhören, die da drüben im Gewandhaus.

Dort so wie in sonstigen Tempeln der Klassik werden regelmäßig Folterinstrumente vorgeführt, die sich Geigen nennen. Für diejenigen die noch nie im Gewandhaus waren: Eine Geige besteht aus zwei Teilen, der Geige selbst und dem Bogen. Der Bogen ist mit Pferdehaar bespannt. Zu diesem Zweck wird unschuldigen Pferden der Schweif abgeschnitten. Das ist schon Folter, wenn man bedenkt, dass das Pferd sich dann nicht mehr gegen Mücken, Fliegen oder Zecken wehren kann. Aber es kommt noch schlimmer. An der Geige werden Saiten aufgespannt, die aus Katzendarm gemacht sind! Stellen Sie sich vor, wie kleinen, süßen Kätzchen der Bauch aufgeschlitzt wird, wie das Eingeweide rausgenommen und zu Geigensaiten verarbeitet wird. Grauenvoll. Unfassbar ist vor allem, dass Sadisten in Abendanzug und Sadistinnen in Abendkleid ins Gewandhaus strömen, um genüsslich zu erfahren, wie Pferdehaar an Katzendarm gerieben wird. Und das nennen sie Hochkultur.

Wir reden hier von Massenmord. Ein Symphonieorchester hat 23 erste Violinen, 20 zweite Violinen und 16 Bratschen. Mal 4 Saiten macht: 236 tote Katzen. Vielleicht werden da Besserwisser erwidern: Man sagt zwar, dass die Saiten aus Katzendarm gemacht sind, doch eigentlich werden Därme von Schafen und Eseln verwendet. Da sage ich nur: Na und? Sind nicht Schafe und Esel auch fühlende Individuen? Weiterlesen…

Luxus und Verschwendung

Es war ein unvergesslicher Abschied. Auf Kosten der Steuerzahler (wofür ich mich bei den Steuerzahlern öffentlich bedankte). Spuren davon sind heute hier zu lesen. Wobei richtig gestellt werden muss, dass das Fest keineswegs privat war. Da durfte jeder von seinen Steuern etwas zurückbekommen. Nur Pech für die Verbitterten.

Jahreszeitgemäßes

“Die abendländische Denkweise verfährt nach sukzessivem Ausschließen und Auslichten. Herbstlich ist diese Art der Analyse: Man hebt die Verzierung ab, lässt das Blattwerk fallen, um an die darunter liegende Struktur zu gelangen. Es wird angenommen, dass das Wesentliche im bloßgelegten Geäst liegt. Doch vielleicht ist es umgekehrt, vielleicht erhält der Baum gerade durch das üppige Laubwerk seinen Sinn.”

(Naïma Benabdelali, Le don et l’anti-économique dans la société arabo-musulmane, das Buch hatte ich eines schönen Springtages in Tanger entdeckt)