Zweifellos erlebte das soeben zu Ende gehende Jahr eine Entfachung sozialer Unruhen in bisher ungekannter Gleichzeitigkeit. Allein im Herbst fanden in über zwanzig Ländern Massenbewegungen und Aufstände statt, in manchen Fällen wurden sie gnadenlos in Blut ertränkt. Reicht das, um von einer globalen Revolte sprechen zu können? Bei einer solch kühnen Behauptung ist Vorsicht geboten. Sie lässt ja einen einheitlichen Willen vermuten, der offensichtlich nicht vorhanden ist.
Simultanität ist noch kein Beweis für Gemeinsamkeit. Die Schnittmenge zwischen Protestmotiven etwa im Iran und in Haiti dürfte ziemlich gering sein. Insbesondere Katalonien und Hongkong, wo die nationale Frage überwiegt, ragen aus der Gemengelage heraus. Regionale Zusammenhänge sind da als bestimmende Faktoren plausibler. Wenn die Bevölkerung Algeriens, des Libanon und des Irak zeitgleich aufbegehrt, wird vermutlich der Arabische Frühling in Ländern fortgesetzt, die 2011 aus verschiedenen Gründen nicht rebelliert hatten. In Lateinamerika wiederum fand offenbar ein Ansteckungsprozess zwischen Ecuador, Bolivien, Chile und Kolumbien statt. Weiterlesen…