Willkommen zur Flashball-EM!

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Ein wichtiger Grund für das überstürzte Bestreben der französischen Regierung, mit Repression und Ausschaltung des Parlaments den andauernden Protest loszuwerden, sollte nicht außer Acht gelassen werden: Am 10. Juni fängt die Fussball-EM an. Damit dieses für Wirtschaft und Prestige belangvolles Event störungsfrei verläuft, wurde der Ausnahmezustand bis dahin verlängert.

Da am 13. November die Pariser Attentäter ein Blutbad im Stade de France anrichten wollten, ist die Befürchtung nicht unbegründet, andere Dschihadisten könnten es erneut versuchen. Daher war von vornherein klar, dass die EM unter maximalem crowd control statt finden würde. Jetzt steht aber die Sorge um andersartige Störungen im Vordergrund. Die Spiele werden in Paris, Lille, Bordeaux, Toulouse, Marseille, Nizza, St Etienne und Lyon ausgetragen. In all diesen Städten finden Nuit-Debout-Kundgebungen statt, in manchen ist die Militanz besonders hoch. Häufig werfen die Medien den Platzbesetzern vor, sie eignen sich öffentliche Räume für ihre private Belange an – ein lächerliches Argument, wenn man sieht, wie „öffentliche“ Räume der Warenherrschaft unterworfen sind. Der Skandal ist eben, dass die Besetzer miteinander reden, anstatt wie Schlafwandler einzukaufen. Sie geben sich nicht mit dem Ritual des Protests zufrieden (zwei Stunden demonstrieren, dann geht jeder nachhause), sondern nehmen sich das Öffentliche zurück.

Nun muss Platz frei gemacht werden, damit Fanmeilen eingerichtet werden. Platz frei für passive, atomisierte Massen, deren einzige Gemeinsamkeit das Zuschauen eines durchökonomisierten Spiels ist. Dort soll das realexistierende Europa wie es sich gebührt gefeiert werden, ein Europa des großen Geldes und der kleinen Bestechungen, ein Europa der Ohnmacht und der Überwachung. Und am Ende gewinnt Deutschland. Die Fanmeile ist das exakte Gegenteil der Nuit Debout. Eine Koexistenz ist ausgeschlossen. Nicht ohne Grund fürchtet die Staatsgewalt, dass das schöne Fest von Störenfrieden sabotiert werden könnte. Die internationale Aufmerksamkeit auf die EM wäre eine wunderbare Gelegenheit, die Gründe des Zorns bekannt zu machen und die Nachrichtensperre zu brechen, die u.a. in Deutschland herrscht. Das soll mit allen Mitteln verhindert werden.

Hinzu spuckt das Gespenst des Generalstreiks. Man stelle sich vor, während des großen Events würden keine öffentliche Verkehrsmittel fahren, Banken und Supermärkte blieben geschlossen und Versorgungsknoten seien blockiert… Bislang konnten die Gewerkschaften mit dem Argument temporisieren: Mal sehen, wie sich das Parlament entscheidet. Wir haben gesehen. Am 10. Mai wurde von Hollande und Valls beschlossen, das Arbeitsgesetz ohne Zustimmung des Parlaments durchzusetzen. Zur Zeit wird bereits bei der Eisenbahn, in McDonalds-Filialen, in Briefverteilzentren unkoordiniert gestreikt. Für den 17. und den 19. Mai haben sieben Gewerkschaften zu einem nationalen Streik aufgerufen. Nur noch ein Showdown kann das Gesetz hindern. Der EM-Termin rückt aber näher.

Mit dem Ausnahmezustand wurde dem Repressionsapparat nahezu jede Freiheit zugelassen. Zum Beispiel wurde der zum Zweck der Terrorbekämpfung eingeführte präventive Hausarrest als erstes gegen Umweltaktivisten während des Pariser Klimagipfels verhängt. Dabei wird mit dem Notstand eine Tendenz bloß verstärkt und legalisiert, die sich seit einigen Jahren abzeichnet. Gegen Opponenten eines neuen Flughafens bei Nantes wird regelmäßig mit flashballs (Hartgummikugeln) geschossen. Im Oktober 2014 wurde ein 21jähriger Botaniker von einer Blendschockgranate getötet, als er gegen die Zerstörung eines Feuchtgebiets demonstrierte. Von der sozialdemokratischen Regierung kam kein Wort des Bedauerns. Am 1. Mai wurde auf die Gewerkschaftsdemo (an der auch Kinder und Senioren teilnahmen) ebenfalls mit Flashballs und Blendschockgranaten geschossen. Diese Tage prahlt die Pariser Polizei mit einem brandneuen Panzerwagen, der offiziell gegen Terroristen, notfalls aber auch gegen Demonstranten eingesetzt werden soll. Zudem wurde gemeldet, dass in Hinblick auf die Fußball-EM die CRS-Einheiten Scharfschützen eilig ausbilden, hier wieder um Terrorattacken aber auch außer Kontrolle geratenen Aufständen vorzubeugen. Da entfesselte Polizisten mit unbeteiligten Passanten nicht zimperlich sind, sollte das auswärtige Amt deutsche Fussballfans vor einer EM-Reise deutlich warnen. Die Gefahr trägt Uniform.

Allerdings kann als sicher gelten, dass die Repression in den kommenden Wochen zunehmen wird. Die Kämpfer zeigen kein Müdigkeitszeichen, die Regierung bleibt unnachgiebig, der Sport hat höchste Priorität. Man erinnert sich ja, wie 1968 das mexikanische Militär 300 protestierende Studenten erschoss, damit die Olympischen Spiele gewöhnt friedlich und feierlich verlaufen konnten. So weit sind wir natürlich nicht. Aber Achtsamkeit ist geboten.