Es gab eine Zeit, als Menschen, die mit den Gesetzen ihres Landes unzufrieden waren und keine Hoffnung hatten, sie zu verändern, staatenlose Erdflecken besiedelten, um dort ihre Utopie zu verwirklichen. Diese Option hat sich schon lange erschöpft. Der ganze Erdball steht unter der Hoheitsgewalt irgendeines Staates. Der ganze? Nein! Offshore kann man sich nationalen Gesetzen entziehen. Das nutzten schon die Piraten-Radios der 60er Jahre, die von internationalen Gewässern aus sendeten und staatliche Rundfunkmonopole umgingen. Auf die Idee sind jetzt neuartige Utopisten gekommen. Sie haben vor, auf künstlichen Inseln Mikronationen zu gründen. Die Baupläne liegen bereits vor, das Geld für die Umsetzung wird emsig gesammelt. In einem ersten Schritt will man die schwimmenden Städte bei „Billigflaggen-Staaten“ wie Panama registrieren lassen, das Ziel sei jedoch die vollständige Souveränitätsanerkennung der UNO.
Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zu den früheren Auswanderern auf der Suche nach einem besseren Leben. Diese waren arme Leute, die in ihrem Herkunftsland aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen verfolgt wurden. Die Neugründer von heute gehören zu den Führungskräften und Aktionären von Facebook, Amazon, Apple und weiteren Potentaten des Silicon Valley. Unlängst erklärte Balaji Srinivasan, Gründer eines Genomik-Unternehmens, die USA seien das „Microsoft der Nationen“ geworden. Es habe keinen Zweck, sie reformieren zu wollen, viel effektiver wäre, dem obsoleten Mammut den Rücken zu kehren, um eine eigene Startup-Nation zu gründen. Deutlicher sprach Google-Gründer Larry Page: „Es gibt eine Menge Dinge, die wir gern machen würden, aber leider nicht tun können, weil sie illegal sind. Wir sollten ein paar Orte haben, wo wir sicher sind.“ Damit wird klar, welche Art der Befreiung anvisiert ist: die Freiheit von Datenschutz, Arbeitsgesetzen, Tariflöhnen und sonstigen demokratischen Scheußlichkeiten. Das Freibeuterprojekt wird von einem Seasteading institute koordiniert, dessen Leiter der Enkel des neoliberalen Übeltäters Milton Friedman ist. Die neoliberale Utopie hat alle Kontinente verwüstet, nun sucht sie ihre letzte Zuflucht auf hoher See.