Der User als neuer Habenichts

Everything belongs to you and me, so let’s take a ride and see what’s mine.

 

Es wird immer anders als gedacht. Bisher schienen Kapitalismus und Privatbesitz untrennbar. Nun wird der Privatbesitz vom Kapitalismus zunehmend abgeschafft. Ein Beispiel: Nachdem die Sauereien der Firma Amazon einer breiten Öffentlichkeit bewusst worden sind, haben nicht wenige Kunden ihr Konto gekündigt. Dann kam die böse Überraschung: Pfft, auf einmal war ihre ganze Kindle-Bibliothek gelöscht! Sie meinten, digitale Bücher so wie früher Papierbücher gekauft zu haben; falsch gedacht: Was sie erworben hatten, war „das Recht, Inhalte zu nutzen“, formal also eher mit einem Bibliothek-Konto vergleichbar, nur mit unbestimmter Ausleihfrist und teureren Gebühren. Gewiss kann man da sagen: selber schuld. Es gibt doch genug Möglichkeiten, aus dem Internet Texte, Musik und sonstige „Inhalte“ herunterzuladen, die man dann speichern, verlagern, vervielfältigen und tauschen kann. Und überhaupt ist ein Gang in nicht-digitalen Buch- oder Plattenläden auch nicht verkehrt. Aber wie lange wird das noch gehen? Das Kindle-Modell ist erfolgreich, es wird bereits von vielen anderen Konzernen und Verlagen praktiziert. Es könnte also durchaus sein, dass wir in wenigen Jahren nicht anders tun werden können, als kulturelle Produkte gegen Bezahlung zu nutzen, ohne diese jemals besitzen zu dürfen.

Häufig wird Besitz mir Eigentum verwechselt. Es sind aber zwei verschiedene Begriffe. Ein Mieter ist kein Eigentümer, wohl aber Besitzer seiner Wohnung. Er darf sie möblieren wie er will, niemand kann ihm vorschreiben, was er dort macht oder wen er einlädt. Selbst dem unangemeldeten Vermietern darf er den Zugang zu seinem Wohnsitz sperren. Wiederum ist ein Nutzer nicht unbedingt Besitzer. Zum Beispiel ist der Hotelgast eben nur Gast, der Wirt bleibt in Besitz des von ihm gemieteten Zimmers. Genau das wäre der neuartige Status des digitalen Users. Bei Amazon, Spotify und Konsorten ist er bloß zu Gast, mit entsprechend eingeschränkten Verfügungsrechten. Die Welt wird zum Hotel.

Die Verwandlung ist schmerzlos. Sie ist sogar bequem. Nichts zu haben, dennoch über alles zu verfügen: eine verführerische Vorstellung. Besonders in Zeiten der allgemeinen Mobilität möchte jeder von der Qual befreit werden, Bücherkisten und CD-Sammlungen schleppen zu müssen. Nun können wir Gepäcklos durch die Welt streifen, immer und überall je nach Laune auf Musik, Film oder Literatur zugreifen. Dafür reichen ein Internetanschluss -und ein gedecktes Konto. Die Schattenseite dieser angeblichen Freiheit ist aber, dass sie jeden Nutzer an den Eigentümer fesselt. Die Verbindungslinien verlaufen nur noch sternförmig, zwischen jedem Einzelnen und dem im Zentrum sitzenden Konzern. Da der User die von ihm konsumierten Produkte nicht besitzt, darf er sie nicht mit anderen teilen. Früher bekam ich von Freunden CDs geschenkt, heute bloß den Hinweis, mir auf Spotify diese oder jene Musikliste anzuhören -vorausgesetzt, ich bin selber abonniert.

Derzeit ist viel vom Ende der Internet-Utopie die Rede. Wir wissen ja: Shareware, open source und P2P sollten den digitalen Kommunismus verwirklichen. Jeder sollte freien Zugang zu den Ressourcen bekommen, sie weiterentwickeln und kommunizieren können. Wenigstens im immateriellen Raum schien es möglich, das Privateigentum abzuschaffen, und eine Gemeinschaft der Mitbesitzer zu etablieren. Doch dauerte es nicht lange, bis das Kapital aus diesem utopischen Potenzial schöpfte, um umgekehrt die Gewalt des Privateigentums auszuweiten. Die Idee des digitalen Kommunismus basierte auf einer realen Eigenschaft der immateriellen Güter: Wenn ich ein Buch verschenke, habe ich es nicht mehr. Im Gegensatz dazu kann ich einen digitalen Text tausendmal weitergeben und ihn zugleich behalten. Diese Eigenschaft wird nun von privaten Internetanbietern und Streamingdiensten zunichte gemacht. Ich muss mich jedes mal bei ihnen melden, um Inhalte nachzuschlagen. Mir ist die Reproduzierbarkeit der Ressourcen abhanden gekommen. Sie sind autosteril gemacht worden, können sich nicht mehr vermehren.

In diesem Zusammenhang wäre auch der „Verlust der Privatsphäre“ zu begreifen. Sämtliche Elemente meines Lebens, die ich als digitale Dateien über das Netz schicke, sind nicht mehr in meinem Besitz. Sobald sie online kursieren, dürfen sie von Netzeigentümern erfasst und verwendet werden. Der Besitz löst sich in einer Cloud auf. Sicherlich wird die Möglichkeit weiterhin bestehen, die unerwünschten Zollschranken und Kontrollsperren zu knacken. Da können wir uns getrost auf die kriminelle Energie der Netzgemeinde verlassen. Doch ist dann die Rückaneignung illegal. Das ist eben das Besondere an den neuen Eigentumsverhältnissen: Was früher Besitz war, ist heute Diebstahl.

Das erinnert an einen anderen Fall, der sich nicht auf dem Gebiet der Kultur, sondern der Natur abspielt. Letztens brachte es der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern fertig zu sagen: „Wenn jeder unbegrenzt sein Saatgut nachbauen kann, ist das Diebstahl“. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Seit Jahrtausenden entwickeln die Bauern traditionelle Sorten und bauen sie nach. Jetzt werden sie gezwungen, registriertes Saatgut von großen Konzernen jedes Jahr neu zu kaufen. Letztes Jahr wurde in Frankreich ein Gärtner wegen „Fälschung“ angeklagt, weil er auf dem Markt eine eigene, nicht registrierte Tomatensorte verkauft hatte! In Kolumbien kam es deswegen zu landesweiten Protesten. Infolge eines „Frei“handelsabkommens mit den USA wurde den Bauern verboten, die Sorten anzubauen, die sie seit Menschengedenken kultivieren. Ihr Saatgut wurde beschlagnahmt, Hunderte wurden inhaftiert. Da möchte man übrigens gern wissen, wie liberale Ideologen eine solche Konfiszierung rechtfertigen. Hierzulande übt die Landkooperative Ulenkrug zivilen Ungehorsam, indem sie traditionelle Pflanzen- und Gemüsesorten anbaut und verteilt. Wer hätte gedacht, dass solch elementare Handlungen eines Tages zur antikapitalistischen Subversion gehören würden?

Gewiss ist im Vergleich zu diesem Fall die oben erwähnte digitale Abzocke harmlos. Hier könnten die Konsequenzen für die Artenvielfalt fatal sein, von der weiteren Verarmung der Landbevölkerung nicht zu sprechen. Überdies geschieht dieser Überfall weit weg vom Wahrnehmungskreis der Endverbraucher, welche ohnehin bereits konditioniert sind, standardisierte Lebensmittel zu essen. Dennoch liegt die Analogie auf der Hand. Den Bauern wird das Verfügungsrecht über den Kreislauf der Natur geraubt. Ihre Pflanzen wurden steril gemacht und müssen Jahr für Jahr neu gekauft werden. Die Grundlagen ihrer Arbeit besitzen sie nicht mehr. Sie sind die User von Monsanto. Zweifelsohne stehen wir erst am Anfang dieses Raubzuges. Für die weiteren Etappen sind alle technische Mittel bereits vorhanden. Kaum zu glauben: Menschen, die mitten in einem nie da gewesenen Überfluss leben, und mit formalen Freiheiten ausgestattet sind, werden von privaten Tyranneien buchstäblich zu Habenichtsen gemacht. Die unbemerkte Knechtschaft. Möglicherweise werden kommende Konflikte unter dem Motto verlaufen: Besitz gegen Eigentum.

 

 

 

 

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