Technik des Terrors, Terror der Technik

yodo

Nein, am Islam allein kann es nicht liegen. Wenn hunderte von jungen Menschen, in Europa geboren und weltlich erzogen, sich plötzlich einer Terrororganisation anschließen und sich zu Mord, Vergewaltigung und Versklavung bekennen, dann ist auch etwas in Europa faul. Man kann die Schuld nicht einem fremden Virus zuschieben. Mitverantwortlich ist zumindest das defiziente Immunsystem. So wünschenswert es wäre, dass Moslems sich mit ihrer Kultur kritisch auseinandersetzen, die aufgeklärten Bürger des Westens werden nicht umhin kommen, vor dem eigenen Haus zu kehren.

Zur Diagnose gehören kulturelle Befunde, auch wenn sie für das Gesamtbild nicht ausreichen: Der Dschihadismus hat es geschafft, Codes und Gesten der Jugendkultur zu pervertieren. Damit wird offensichtlich ein Vakuum besetzt. Denn eine rebellische Gegenkultur gibt es schon lange nicht mehr. Sie hat sich in Trends aufgelöst. Zieht sich ein Mädchen einen Punk-Outfit an, schmunzeln ihre Eltern gerührt. Verwandelt sie sich aber in eine vollverschleierte Fledermaus, ist die Schockwirkung garantiert. Es sind keine Experten nötig, um zu wissen, weshalb ein gelangweilter junger Mann aus seinem Kuhdorf ausreißt. Bloß, vor vierzig Jahren wäre er in einer Hippie-Kommune gelandet; heute taucht er als Geiselschlächter in Syrien wieder auf. Es ist die Jugendrevolte in Zeiten ihrer Unmöglichkeit, die Metamorphose von Lustprinzip in Todestrieb.

Womöglich ist Gangsta-Rap die letzte Außenseiterkultur. In der Popakademie zu Mannheim wird ihm kein Seminarfach gewidmet. Daher wundert es nicht, dass prominente IS-Kämpfer wie der Berliner Deso-Dogg oder der Londoner L-Jinny aus der Szene kommen. Damit wird natürlich nicht unterstellt, dass alle Bad Boys potenzielle Terroristen seien. Aber vielleicht wäre man gut beraten, fernab von ästhetischen Beurteilungen zu hören, was Gangsta-Rapper eigentlich sagen und ihre genuine, konfuse Wut ernstzunehmen. Der Schritt war so riesig nicht von Deso Doggs „Willkommen in meiner Welt, voller Hass und Blut“ (dem Soundtrack von „Zivilcourage“, einem Spielfilm, der für den deutschen Fernsehpreis nominiert wurde) zu “Mujahid lauf, Mujahid kämpf! Guck’ wie der Kafir stirbt und brennt!“, seinem vom Bundesverfassungsschutz indizierten Naschid. Nur wird das eine als vermarktbares Ventil angesehen, das zweite als Anstiftung zum Terror.

Schließlich finden sich im Dschihadismus viele Elemente des Gangsta-Rap wieder: das Macho-Gehabe, der AK47-Fetisch, die Einforderung von „Respekt“, die mit der Erniedrigung der Schwächeren eingelöst wird. IS selbst ist eine Supergang, in vielerlei Hinsicht mit lateinamerikanischen Drogenkartellen vergleichbar, die übrigens als erste Enthauptungsvideos gedreht haben. Hier setzt der Islam ein, besser gesagt die von IS und Konsorten propagierte Islam-Karikatur, und zwar als Schleier, um die grenzenlose Freisetzung verbrecherischer Energien als Entsagung zu verhüllen. Wie Slavoj Zizek kürzlich bemerkte: Die westliche Permissivität wird abgelehnt, um sich das absolut Verbotene, das Töten, zu erlauben. Zudem wird mit dem Vorwand, eine religiöse Gemeinschaft zu gründen, das durchaus westliche Ideal der Selbstverwirklichung bis hin zum Märtyrertod überspitzt.

Dabei offeriert der Westen den Terror nicht nur eine Leerstelle, er stellt auch die nötige Technik zur Verfügung. Vor genau 50 Jahren prägte Marshall McLuhan seine berühmte Maxime: Das Medium ist die Botschaft. Mit der IS-Propaganda hat sie eine morbide Bestätigung erhalten. Die Anwerbung findet nicht so sehr in Moscheen und Gefängnissen statt denn über das Netz. Nicht durch Predigten, sondern durch Facebook-Einträge und Youtube-Videos. Doch geht es nicht nur darum, alte Inhalte in neue Medien zu gießen, bereits die Nutzung des Mediums gehört zur Organisation des Terrors. Wenn ein braves, französisches Mädchen aus der Provinz allein über soziale Netzwerke binnen acht Wochen überredet wird, ein Selbstmordattentat zu verüben, dann offenbart sich, dass der Facebook-Algorithmus effektiver ist, als tausend Hassprediger. Es ist nicht mehr nötig, Gehirnwäschekandidaten in einen physischen Raum abzusondern, die automatisch generierte filter bubble genügt, um eine Parallelwelt zu errichten, von Verwandten und Freunden völlig unbemerkt. Die online-Präsenz von IS will nicht nur europäisches Kanonenfutter nach Syrien locken, sie ist für sich eine Guerilla. Westliche Jungs haben keine Kriegserfahrung, doch mit digitalen Waffen kennen sie sich gut aus.

Gekonnt differenziert die IS-Propaganda ihre Botschaften je nach Zielgruppe. Sowohl der Mutter-Teresa-Typ als auch der opferbereite Altruist werden entsprechend bedient. Ein Märtyrer darf nämlich 70 Personen mit ins Paradies mitnehmen, erzählte begeistert ein nach Syrien ausgekehrter Junge seinen Eltern. Manchmal lässt sich schwer bestimmen, inwiefern die Sprache des Terrors einer postmodernen Ironie zuzurechnen ist. So zum Beispiel wenn „yodo“, das in sozialen Netzwerken hippe Kürzel für „you only die once“, mit der Frage ergänzt wird: „Warum es nicht mit Märtyrertum tun?“

Am eindrucksvollsten sind allrdings die aufwändig produzierten Videos, die an ein medienaffines, postalphabetisches Publikum richten. Die realen Handlungen sind stark verfremdet, um einem Computerspiel zu ähneln. Der Zuschauer hat den Eindruck, selbst hinter der Waffe zu stehen, er sieht sein Ziel durch einen eingebauten Sniper-Zoom. Wenn geschossen wird und das Opfer zusammenbricht, wird auf Zeitlupe geschaltet. Der finale Kopfschuss wird mit einem elektronischen Knall vertont. Oder es wird eine hektische Szenenfolge von explodierenden Fahrzeugen und erschossenen Zivilisten aus permanent wechselnden Aufnahmewinkeln (Drohnen eingeschlossen) geschnitten. Auf der Tonspur mischen sich a capella Gesänge und Maschinengewehrsalven mit allerlei sound effects. Diese Ästhetik will nicht so sehr das Auge denn die Nerven erreichen. Sie hebt die Grenze zwischen Phantasie und Realität permanent auf. Gruselszenen werden digital entwirklicht, wiederum wird eine Folge von „Grand Theft Auto V“ mittels eingebauter IS- Kämpferfiguren manipuliert.

Hier spielen Religion und Politik kaum eine Rolle. Geworben wird hauptsächlich für Adrenalinschübe und Leistungssteigerung. Süchtige brauchen ständig stärkere Dosen. Und wenn die reale Tötung das bessere Gameplay wäre? In dieser Hinsicht ist der Dschihad vollkommen in die westliche Moderne integriert, die Fortsetzung des Computerspiels mit anderen Mitteln.

respawn

„This is our call of duty and we respawn in Jannah“ – für nicht Eingeweihte mag diese Botschaft kryptisch sein. Sie lässt sich aber leicht entziffern. „Call of Duty“ ist eins der beliebtesten Ego-Shooter-Spiele. Einem BBC-Reporter gegenüber erklärte ein IS-Kämpfer, sein neues Leben sei „spannender als Call of Duty!“ „Jannah“ ist das arabische Wort für Paradies. Aber was heisst denn „respawn“? Wird ein Spieler von einer Gegnerfigur getötet, hat er die Möglichkeit, wieder einzusteigen. Er respawnt und so wie er auch der Selbstmordattentäter, der den eigenen Tod als bloße Etappe im Dschihad-Parcours betrachtet. Das Märtyrertum braucht keinen transzendentalen Glauben, es ist spielimmanent. Dem Süchtigen ist die Vorstellung ein Gräuel, dass sein Spiel irgendwann aufhören wird. Die islamistische Respawn-Funktion erlöst ihn von dieser Angst. Es gibt immer eine nächste Runde.

Nach jedem Schulmassaker entflammt die Ego-Shooter-Polemik erneut. Immer war der Mörder ein besessener Spieler, doch, so die rituelle Erwiderung, ergebe sich aus dieser Korrelation kein kausaler Zusammenhang. Schließlich gibt es in der Welt Millionen Ego-Shooter-Spieler, die keiner Fliege etwas zuleide täten. Das Sonderbare an dieser Argumentation ist, dass sie für andere Bereiche nicht gilt. Ein Computerspiel namens „Kindervergewaltigung“ oder „Schwulenbashing“ würde auf merklich weniger Akzeptanz treffen. Wenn es um Sex geht, wird die anstiftende Funktion von Bildern bemüht. Allein der virtuelle Mord wird als auswirkungslos eingestuft. Nun geht IS die Gegenwette ein. Seine Clips zielen darauf ab, den Schritt zur Tat zu intiieren. Sie sind Trailer von Filmen, die es nicht gibt. Wer mehr erfahren will, muss sich physisch engagieren. Wie mit Spam-Mails wird nur ein Bruchteil der Zielgruppe erreicht, doch ausreichend, um sich eine solide Gefolgschaft zu sichern.

Es ist kaum zu bestreiten, dass Egoshooter-Spiele auf die narzisstischen Neigungen ihrer Nutzer setzen: die „Ich gegen die Welt“-Haltung, die Unbesiegbarkeitsphantasie, die Gefahrsucht. Deswegen werden sie auch geliebt: Für das Durchsetzungsvermögen und die Effizienzsteigerung ist eine gute Prise von banalem Narzissmus erforderlich. Doch ist die Grenze dünn zwischen banalem und malignem Narzissmus. Sie wird aufgehoben, wenn sich mediale und reale Erlebniswelten vermischen und die Tötungshemmung überwunden wird. Nicht nur gegen die Fanatisierung von außen ist Widerstand Pflicht, sondern zugleich gegen die Sucht, die von medialen Systemen strukturell generiert wird. IS mag demnächst auf dem Schlachtfeld besiegt werden, nichtsdestotrotz werden die Mittel bleiben, derer er sich bedient und die anderen, auch säkularen Gruppen, zur Disposition stehen. Staatliche „Entradikalisierungsprogramme“ werden da nicht helfen. Vielmehr kommt es darauf an, das in der Mediengesellschaft eingenistete terroristische Potenzial radikal in Frage zu stellen. Möge die nächste Rebellion die Todesbegeisterung vergessen, um empathische und lebensbejahende Spiele zu entwickeln.

 

 

Frankfurter Allgemeine Sonntagzeitung, 18. Januar 2015, S.39

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