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Die digitale Öffentlichkeit ist enttäuscht. Es liegt nicht so sehr daran, dass wir von Google und Konsorten ohne unser Wissen ausgewertet, verwertet und weiterverkauft werden, das wäre noch zu verkraften. Auch dass demokratische Staaten uns alle auf eine Weise ausspionieren, wie es keine totalitäre Diktatur jemals getan hat, ist zwar schwer zu schlucken, lässt sich jedoch noch irgendwie wegerklären. Die eigentliche Schmach ist in etwas anderem begründet. Nämlich in der unterschwelligen Feststellung, all unsere Gedanken und Handlungen können deswegen überwacht und manipuliert werden, weil sie komplett berechenbar seien. Das Determinismus-Team hat über die Mannschaft des freien Willens durch ein technisches KO gesiegt. Individuelle Autonomie war bloß ein Mangel an Algorithmen. Nun sind sie da, die Algorithmen, sie werden immer besser, und alleweil flüstern uns ihre Analytiker zu: „Du bist nichts anderes als ein Nullkommaetwas, eine statistische Schnittmenge, ein durchschaubarer Datenhaufen. Du hast das Privileg, in einer freiheitlichen Ordnung zu leben, weil auf dem Schachbrett der Angebote und Präferenzen all deine Züge vorherbestimmt sind. Du hast die freie Wahl und was du wählen wirst, ist uns schon bekannt.“ Von dieser narzisstischen Kränkung wird sich die liberale Subjektivität schwer erholen können. Ach, wie frei wähnte sich der postmoderne Hedonist! Von allen Traditionen und äußeren Einflüssen losgelöst! Durch die Vielfalt der Singularitäten schweifend! Seine temporären Identitäten nach Gusto wechselnd! War es nicht ein guter deal, seine veraltete Seele gegen einen Teller Conchitawürstchen eingetäuscht zu haben? Wieso hätte sich der user ernsthaft gegen eine Macht aufgelehnt, die ihm gegenüber so großzügig war? Ihm wurde alles geschenkt, Bilder und soziale Kontakte, Unterhaltung und Wissen, Community und Personalisierung, alles für lau. Zu spät erfuhr er, dass er doch einen faustischen Pakt eingegangen war: Was er dafür ausgeben sollte, war die Verfügung über sich selbst.
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